Leiharbeit – Zeitarbeit in der Pflege

Einige notwendige Vorbemerkungen zur Entwicklung und Situation der Pflege in den letzten zwanzig Jahren.

Bereits seit Mitte der 1990er wurden Pflegekräfte im Krankenhaus-Bereich abgebaut. Hinzu kam die zunehmende Ökonomisierung des Gesundheitswesens seit 2003 durch die Einführung der Fallpauschalen (= DRG), d.h. Eingriffe und Behandlungen im Krankenhaus werden einheitlich vergütet, unabhängig von individuell eventuell auftretenden Komplikationen. Pflegepersonal wurde weiter abgebaut, ärztliches Personal aufgestockt.
Siehe Pflegethermometer von 2014 – DIP (Deutsches Institut für Pflege) – Seite 17

Daraus resultierte eine mehrfache Arbeitsverdichtung für das Pflege-Personal:

  1. durch weniger Personal (minus 11,44%) ,
  2. durch die verkürzte Verweildauer (minus 29,38%) und mehr Patient*innen (Fallzahl +19,15%)
  3. durch den wesentlich erhöhten Dokumentationsanspruch und -aufwand durch die DRG.

Das ärztliche Personal wurde aufgestockt

  1. aufgrund eines EU-Urteils zu den Bereitschaftszeiten; Bereitschaft = Arbeitszeit
  2. Nur Ärzt*innen dürfen die erbrachten Leistungen „kodieren“, d.h. in ein abrechenbares System von Kodier-Schlüsseln eingeben.

Die Pflegenden sind die größte Berufsgruppe im Gesundheitswesen, mit etwa 1,1 Millionen Pflegekräften im ambulanten und stationären Dienst. Die Teilzeitquote ist berufsbedingt überdurchschnittlich höher als in anderen Berufsgruppen.

Da Personalkosten der teuerste Posten bei den Ausgaben sind, begann der Abbau von Pflegekräften bereits ab 1995. Zum Beispiel durch fehlende Nachbesetzung von auslaufenden Stellen. Eine hohe Berufsflucht wird immer wieder angegeben, ist jedoch kaum gut erforscht.
(Quelle: familienwortschatz.de – s.a. weiterführende Links dort)

Anwerbeversuche gab es in den letzten Jahren aus Spanien, China, den osteuropäischen Ländern und inzwischen (wieder) in Fernost und Mexiko.

Vermehrter Einsatz von Leiharbeits- / Zeitarbeits-Kräften

Die Verschlankung und Straffung der Arbeitsabläufe konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass für eine gute und sichere pflegerische Versorgung professionelles Personal benötigt wird. Inzwischen ist der Pflegeschlüssel, die Anzahl Patient*innen je Pflegekraft, in Deutschland im Tagdienst bei bis zu 1:16, im Nachtdienst 1:30 und deutlich darüber. Zum Vergleich. In den Niederlanden liegt er bei 1:7, in Norwegen bei 1:4 auf nicht-intensiv Stationen.

Der Markt an Pflegekräften „ist leer gefegt“. Das hat in den letzten Jahren verstärkt zur Gründung von Leiharbeits- / Zeitarbeits-Firmen geführt.

Leiharbeit ist eine in den letzten Jahren stark expandierende Form der Beschäftigung. Das Wachstum von Leiharbeit ist dabei hauptsächlich auf die im Rahmen der „Gesetze für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (Hartz I-IV)“ eingeleiteten Veränderungen zurückzuführen. So hat die Neuregelung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) im Jahr 2004 dazu geführt, dass der Einsatz von Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmern erleichtert wurde und Betrieben damit die Möglichkeit eröffnet worden ist, diese Beschäftigungsform stärker als zuvor als attraktives Flexibilisierungsinstrument zu nutzen. Inzwischen werden in Deutschland mehr als 900.000 überlassene Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer gezählt, …

Quellen:

arbeitnehmerkammer.de
„Entwicklungen in der Zeitarbeit“ – Agentur für Arbeit, Januar 2021
Statista – Stand 31.12.2019

Viele Kliniken können den Betrieb ohne den Einsatz von Leiharbeits-/Zeitarbeitskräften nicht mehr aufrecht erhalten. Insbesondere auf Intensivstationen. Und ohne funktionsfähige Intensivstation entfallen auch die Operationen, die Chirurgie und die Notfallambulanz! – Dafür werden Höchstpreise bis über 70 Euro/Stunde für Intensivkräfte gezahlt. An die Zeitarbeitsfirmen.

Die Pflegekräfte werden beispielsweise in der sogenannten „Reisepflege“, also mit häufig wechselndem Einsatzort, gelockt mit Verdiensten bei 20 – 25 Euro brutto stündlich. Das stellt sich bei näherer Betrachtung als Mogelpackung heraus. Wenn außertarifliche Zulagen für Ortsabwesenheit gezahlt werden, die jeder Arbeitnehmer am Jahresende beim Lohnsteuerjahresausgleich angeben kann, handelt es sich genau genommen um eine vorweggenommene Steuer-Erstattung.

Nachteile für den Stationsbetrieb ist der zunehmende Anteil an neuem und häufiger wechselndem Personal.

08. Januar 2021

… Nach Tagesspiegel-Informationen gehören in Berlin vielerorts bis zu 20 Prozent der in einer Schicht eingesetzten Pflegekräfte zu Leih- und Zeitarbeitsfirmen.

labournet.de

Zeitarbeit in der Pflege (Stand: Juni 2019)
Positionspapier des Interessenverbandes Deutscher Zeitarbeitsunternehmen e.V.

Die Nachteile für die Qualität in der Pflege sind vielfältig. Wegen der bereits bestehenden Personalknappheit fällt die Einarbeitung in die lokalen Gegebenheiten eher knapp oder ganz aus. Auch mit Leiharbeiter*innen / Zeitarbeiter*innen bestehen Pflegeschlüssel von 1:16 im Tagdienst.

Die effektive Nutzung aufwändiger Krankenhaus-Software ist wegen fehlender Schulung schlechter. Fehler häufen sich. Das wirkt sich in der Administration und Dokumentation von Maßnahmen aus und wird gefährlich, wenn es um Medikamente oder medizinische Maßnahmen geht.

In der stationären Altenpflege schadet es den älteren Bewohner*innen, wenn vertraute Bezugspersonen, wie geschulte Pflegekräfte, häufiger wechseln, die Kontinuität nicht gegeben ist.

Was für die Leiharbeits-/Zeitarbeitskräfte als Vorteil angeboten wird, die verbindliche Verabredung von Arbeitszeiten, wird vom Stammpersonal aufgefangen. Das führt ebenso zu Unfriedenheit in der Belegschaft wie die teilweise bessere Bezahlung.

Die Leiharbeits-/Zeitarbeitskräfte haben keine Mitarbeiter*innenvertretung im Betrieb. Der Betriebsrat ist für sie nicht zuständig. Das wäre ein Betriebsrat in der Zeitarbeits-Firma, wenn es dort einen gäbe. Wenn ein*e Mitarbeiter*in „nicht gefällt“, wird einfach der Einsatz abgesagt und ein neuer Einsatz an neuem Ort zugeteilt. Damit nimmt sich das entleihende Unternehmen die Möglichkeiten einer positiven, offenen Fehlerkultur und der Mitarbeiter*innenentwicklung.
Die Leih-/Zeitarbeiter*innen sind den Arbeitsbedingungen ohne die Möglichkeiten einer Mitarbeiter*innenvertretung ausgesetzt.

Manche Angebote der Zeitarbeitsfirmen an Arbeitsbedingungen sind Mogelpackungen. Wenn etwa ohnehin durch gesetzliche Rahmen vorgegebene Regelungen, wie 25 freie Wochenenden im Jahr als Besonderheit angepriesen werden.

Und ein unbefristeter Vertrag kann innerhalb der ersten sechs Monate wieder gekündigt werden. In Deutschland ohne Angabe von Gründen!

Text

Guy-Harald Hofmann
staatl. examinierter Gesundheits- und Krankenpfleger seit 1994

Neue Straße 21
24536 Neumünster
Fon 04321 564 7523
Mobil 0163 639 4255
guyhofmann@gmail.com