Hilfsgüter für die Ukraine – ein Erfahrungsbericht

Hilfsgüter
Von Anna, Mitglied des Bundesvorstandes

Köln, Rosenmontag den 28.02.2022, 10:32, Tag der Friedensdemonstration für die Ukraine

Friedensdemo auf dem Chlodwigplatz

Ich stand mitten auf dem Chlodwigplatz, umringt von ungefähr 250.000 Menschen, wie ich später genauer erfahren sollte. Ich trug blau und gelb, um auch optisch meine Solidarität mit der Ukraine zu symbolisieren. Viele taten es mir gleich und trugen die Farben der ukrainischen Flagge, einige hatten sogar Schilder gebastelt oder Fahnen mitgebracht.

Im Lauf der Begrüßungen, der Reden und der Kundgebungen von Veranstalter, Bürgermeisterin und Co., hielten wir eine Schweigeminute für die bereits getöteten Menschen im Ukraine-Konflikt ab, für Soldaten wie Zivilisten, Ukrainer wie Russen!

Danach stimmte eine ukrainische Sängerin ein ukrainisches Gedenklied an und kurz nach den ersten Tönen, fingen die Menschen in meiner unmittelbaren Umgebung an, erst zögerlich, dann durch die anderen ermutigt, auf die Knie zu gehen.

Gedenklied

Und ganz plötzlich stand auch ich nicht mehr auf dem Chlodwigplatz, ich kniete und das mit Tränen in den Augen. Und ich hatte mich entschlossen, mehr tun zu wollen, als zu demonstrieren und zu knien. Für die Menschen die dort vor Ort vor Krieg fliehen mussten. Für meine schlesische Nenn-Oma, die mir von Ihrer Vertreibung erzählt hatte.

Ich hatte das Angebot bekommen, Hilfsgüter in die Nähe der ukrainischen Grenze zu fahren. Ich lief nach Hause, schnappte mir meinen Lieferwagen und fuhr zum ausgemachten Ort, um die Hilfsgüter einzuladen. Kartons mit Babynahrung, Babyklamotten, vorgepackte Hygienepakete, Schlafsäcke, Medikamente, Verbandszeug und unzählige weitere Dinge…

Beladen

Wir packten den Wagen bis oben hin voll, umarmten uns zum Abschied und ich startete Richtung Polen. Kurz vor Krakau sollte ich mich dann um 7.00 Uhr morgens mit Michal und Sergej an einem Lager treffen, um die Hilfsgüter umzuladen damit die beiden diese über die ukrainische Grenze bringen können. Ich fuhr den ganzen Abend, durch die Nacht und in einen wunderschönen Sonnenaufgang. Die Felder glitzerten im morgendlichen Reif, der Himmel noch leicht von Sternen bedeckt und am Horizont die feuerrote Sonne. Es fühlte sich alles so falsch und unwirklich an. Nicht weit von hier herrschte Krieg, Menschen wurden getötet und verloren Ihre Heimat.

Michal und Sergej sprachen keine mir verständliche Sprache und ich keine der Ihren. Aber wir drückten uns zur Begrüßung, klopften uns auf die Schulter und verluden umgehend die Güter. Dann brachte man mir einen Kaffee und wollte das ich etwa aß und mich ausruhte. Wir kannten und verstanden einander nicht und trotzdem bezweifelte keiner die Absichten des anderen. Wir waren alle hier, um zu helfen.

Doch ich blieb nicht lange, stürzte den Kaffee runter, wurde erneut brüderlich umarmt und fuhr weiter Richtung Grenze. Ich hatte über eine gut vernetzte Facebook-Gruppe die Information bekommen, das an einem nahegelegenen Grenzübergang Menschen ankämen, die weiter transportiert werden möchten. Dort fand ich zwei ukrainische Schwestern, die nach Warschau wollten und ich beschloss, die beiden mitzunehmen.

Noch während der Fahrt erhielt ich durch die Gruppe den Hilferuf eins geflohenen Pärchens, dem man den Zutritt zum Bahnhof von Warschau verwehrte. Die beiden waren zum Studieren in der Ukraine und hatten die irakische Staatsbürgerschaft. Ich hatte bereits von solchen Vorfällen im Radio gehört und konnte es selbst kaum glauben. Ich setzte die Schwestern ab, beide drückten und küssten mich, sagten viele unverständliche Worte und wir weinten vor Freude. Ich wussten wir würden einander wahrscheinlich nie wieder sehen aber ich würde sie nie vergessen.

Dann nahm ich das Ehepaar, sie hochschwanger, mit zu einem sicheren Ort in Berlin. Freunde würden sie dort empfangen und hätten eine Unterkunft organisiert. Er erzählte auf Englisch von seinem Studium, seiner „alten“ Heimat, seiner „neuen“ Heimat und wir skpyten mit seiner Familie. Doch kurz nach der deutschen Grenze merkte ich, dass ich meinen Körper überanstrengt hatte und forderte über die Facebookgruppe einen Ersatzfahrer an, um die beiden sicher an Ihr Ziel zu bringen.

Zwei Berliner kamen umgehend, brachten die beiden sicher an Ihr Ziel und mich zu einer der Organisatorinnen der Facebookgruppe. Dort bekam ich eine heiße Dusche, ein Bett, Tee, Frühstück und Schokolade.

Meine Weggefährten auf dieser Reise wechselten schnell und es waren vielleicht kaum mehr als flüchtige Bekanntschaften. Doch trotz der Sprachbarrieren, der unterschiedlichen Kulturen, der extremen Situation, vertraute man einander und behandelte sich mit Respekt und Liebe. Wir teilten miteinander Momente von Verletzlichkeit und Menschlichkeit. Wir teilten unser Essen und Trinken. Wir waren füreinander da. Für eine weltoffene, vielfältige und friedliche Welt.