Tag der (unsichtbaren) Arbeit

Eine erwachsene Hand hält eine Babyhand

Heute ist Tag der Arbeit, in vielen europäischen Staaten ein gesetzlicher Feiertag. Wir wollen den Tag nutzen, um auf Missstände im Bereich unsichtbarer Arbeit aufmerksam zu machen. Dazu haben wir uns mit unserem Mitglied Maik zu einem Interview getroffen. Maik beschäftigt sich schon sehr lange mit diesem Thema.

          

Maik, wer bist du?

Mein Name ist Maik Stöckinger, ich bin 38 und Mitglied bei DiB. Ich habe mich während meines Studiums lange mit Geschlechterfragen beschäftigt. Meine Doktorarbeit habe ich dann über Fürsorge und Care geschrieben, in diesem Bereich gibt es sehr viel unsichtbare Arbeit. Dieses Thema ist stark verbunden mit Geschlechter- und Frauenfragen. Warum gibt es die GenderPayGap und GenderCareGap? Warum machen Frauen mehr Arbeit im Haushalt? Was sind sogenannte Frauen- und Männerberufe und was genau steckt dahinter? Das sind Fragen aus diesem Bereich.

             

Warum liegt dir das Thema am Herzen?

Was mich immer wieder umtreibt, sind Fragen sozialer Gerechtigkeit und Ungleichheit. Das beschäftigt mich als übergreifendes Thema. Geschlechterfragen als Unterform dieser Frage sind in meiner Biographie verankert. Seit ich sechs Jahre alt war hat mich mein Vater alleine großgezogen. Das hat unterbewusst Einfluss auf mich genommen und im Soziologiestudium habe ich über diese Dinge dann lieber nachgedacht als über andere. Natürlich haben mich auch meine hochkarätigen Professorinnen auf diesem Gebiet geprägt. 

         

Was ist das eigentlich? Unsichtbare Care-Arbeit?

In dieser Wortkombination stecken eigentlich drei Begriffe, die einzeln definiert werden müssten. Care-Arbeit als einer davon ist kein zu Ende definierter Begriff, aber es hat mit kümmern zu tun und damit Verantwortung zu übernehmen. Jemand ist auf die Hilfe angewiesen und man macht es nicht aus Spaß. Das ist vergleichbar mit bezahlten Care-Berufen, wie Krankenschwestern oder Altenpfleger*innen beispielsweise. Man muss aber auch fragen: Was ist jetzt Arbeit? Arbeit ist kein Freizeitvergnügen, es ist etwas, das getan werden muss, um das Leben, die Gesellschaft aufrecht zu erhalten. Auch ist Care-Arbeit in der Regel nicht diejenige Arbeit, die im Fokus der politischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen steht, weshalb sie oftmals unsichtbar ist. Daran werden in der Careforschung dann auch Unterschiede in der Definition von Care-Arbeit selbst deutlich, aber das geht jetzt vielleicht zu weit. Und dann muss weiter unterschieden werden zwischen entlohnter und nicht entlohnter Care-Arbeit. Bei der entlohnten Arbeit ist Care-Arbeit weniger sichtbar als andere entlohnte Arbeit und dann haben wir noch die völlig unsichtbare Care-Arbeit im Privathaushalt. 

          

Was ist das Problem daran? 

Als die wertvollere Arbeit wird Lohnarbeit angesehen. Hausarbeit ist auch Arbeit, wird aber nicht entlohnt. Zur Hausarbeit zählt auch Kinderbetreuung, Essenszubereitung und Pflege. Das sogenannte Alleinernährermodell in Familien ist seit Mitte des letzten Jahrhunderts immer weniger möglich, weil die Löhne stetig – übrigens politisch gewollt – gesunken sind und in den meisten Familien heutzutage beide arbeiten müssen. Teilweise reicht das Geld nicht mal und es müssen auch die (jungen) Erwachsenen schon arbeiten. Vorher verdiente der Mann das Geld und hatte das Ansehen und das Sagen. Die Frauen dementsprechend nicht, obwohl sie die Grundlage bilden, dass der Mann draußen, also in der öffentlichen und sichtbaren Sphäre, arbeiten gehen kann. Diese Arbeit in der privaten Sphäre ist nicht sichtbar, aber genauso wichtig. Warum also fehlt dieser Arbeit das Ansehen? 

Und es gibt noch ein Problem, das Alleinerziehende stark betrifft: Männer können das besser kompensieren, weil sie im Normalfall besser verdienen, aber für alleinerziehende Frauen ist das ganz schwierig. Oft stecken diese Frauen dann auch noch in der Teilzeitfalle. Das sollten wir viel mehr mitdenken, weil sich die Bedeutung der Ehe verändert. Die romantische Ehe erhält mehr und mehr Einzug. Das heißt auch, dass bei fehlenden Gefühlen nicht mehr so sehr an einer Ehe festgehalten wird. Deshalb gibt es mehr Scheidungen, mehr Alleinerziehende und Patchwork-Familien. 

           

Welche Auswirkungen hat unsichtbare Arbeit?

Frauen machen im größeren Anteil Arbeiten, die gedanklich damit verknüpft werden können, was sie im Alleinernährermodell unentgeltlich gemacht haben, Kindererziehung und Pflegeberufe beispielsweise. Care-Berufe sind überwiegend weiblich besetzt. Es wird gerne das Bild vermittelt, dass diese Berufe in der Natur der Frau liegen. Deshalb werden sie auch schlechter bezahlt, weil Frauen können das ja sowieso. Interessant ist allerdings: Die Diskussion um Corona zeigt, dass dieser Missstand jetzt zunehmend erkannt wird. Aber aus diesen Sachverhalten sind sowohl die GenderPayGap als auch die GenderCareGap entstanden.

Umfragen belegen: Im Durchschnitt arbeitet eine Frau weniger Erwerbsarbeit, aber mehr Haushaltsarbeit. In der Summe arbeiten Frauen im Tagesdurchschnitt mehr als Männer, verdienen dabei aber weniger Geld.

Und diese ganzen Geldfragen sorgen für Anschlussfragen: Wenn also der Lohn immer weiter sinkt, so dass in Paarhaushalten – wir sprechen stereotyp und vereinfachend leider meist von Mann und Frau, aber das betrifft selbstverständlich auch gleichgeschlechtliche Paare und Eltern – beide Teile arbeiten müssen: Wer macht dann noch die vorhin als so wichtig angesprochene Care-Arbeit zu Hause? Wer pflegt die Eltern? Wer kümmert sich um die Kinder? Klar, wir haben Kitas und Senior*innenheime. Die Hauptbelastung tragen weiterhin Frauen. Und wenn es sich ein Haushalt leisten kann, andere für diese Care-Arbeit einzustellen, dann sind es in der Regel ebenfalls Frauen. Putz- und Pflegekräfte sind zumeist weiblich. Und da lauert auch schon der nächste Missstand: Schauen wir auf die Herkunft viele dieser Kräfte, dann sehen wir, dass dies nicht selten Menschen aus Osteuropa und anderen Ländern sind. Die sind billiger als deutsche. Da nimmt die Ausbeutung der Frauen dann länderübergreifende Dimensionen an. Man spricht hier von Care-Ketten, denn wenn die sogenannte 24-Stunden-Polin in Deutschland im Privathaushalt ältere Menschen pflegt: Wer macht die Care-Arbeit in deren Familie in Polen?

             

Wie fühlen sich Betroffene? 

Das kommt wohl drauf an wen man fragt. Wenn Menschen „von nebenan“ gefragt würden, sehen sie dieses Problem oft nicht, weil es für sie normal ist. Sie denken nicht drüber nach und fühlen das logischerweise dann auch nicht. Es gibt eine gute Studie, nachzulesen in “Die Illusion der Emanzipation”. Die Autor*innen teilen Familien in drei Milieus ein: traditional, familistisch und individualisiert.

Im familistischen und traditionalen Umfeld wird die Haushaltsarbeit nicht als Problem gesehen. Sie ist da und muss gemacht werden. 

Bei den individualisierten Familien  wird erzählt, dass alle Familienmitglieder gleichberechtigt seien und sie diskutieren die Hausarbeit aus. Wenn man aber näher hinschaut, machen auch sie es wie die anderen beiden Gruppen. Es bewegt sich in den herkömmlichen Rastern. 

         

Wenn sie das nicht sehen, warum dann ändern?

Ja, gute Frage. Ich selbst und DiB sehen darin ja trotzdem Probleme, die wir eher auf der gesellschaftlichen Ebene ansiedeln und eben nicht auf der individuellen. Es handelt sich dabei ja um einen generellen Diskurs: Wer darf für wen sprechen? Wie machen wir denn am Ende Politik, wenn nur noch jeder für sich selbst sprechen darf? Wer kümmert sich dann um Wohnungslose oder Langzeitarbeitslose? Die werden dann nicht mehr gesehen. Man muss es zulassen, über andere reden zu dürfen. Deswegen muss es Parteien wie uns geben… 

           

Wie kann man das Problem lösen? 

Es gibt keine Natur der Frau und keine Natur des Mannes. Diese Strukturen sind alle veränderbar. Wir müssen uns darauf einlassen und uns bewegen, emotional und geistig. 

Meiner Meinung nach ist das BGE auch in dieser Frage hilfreich. Bestenfalls verringert sich die GenderPayGap stark, vielleicht verschwindet sie sogar ganz. Ich sehe eine große Chance, dass das BGE es Männern besser ermöglicht in Teilzeit zu gehen. Und wenn auch Männer diese Aufgaben übernehmen, haben wir eine Chance, dass sich auch die festgefahrenen Strukturen in unseren Köpfen verändern. Das ist allerdings noch ein langer Weg. Ein sehr langer.